In Deutschland besteht Schulpflicht. Doch auch hier kommt es immer wieder vor, dass Eltern ihre Kinder aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zur Schule schicken.
Nach einiger Zeit, nämlich wenn die Schulleitung zunächst vergeblich versucht hat mit den Eltern zu sprechen, bzw. diese dazu zu veranlassen, ihr Kind/ihre Kinder in die Schule zu schicken, wird das Jugendamt informiert.
Auch dort versucht man zunächst in Gesprächen mit den Eltern diese dazu zu motivieren, ihre Kinder (wieder) in die Schule gehen zu lassen, oder, wenn die Verweigerungshaltung von den Kindern ausgeht, diese dazu zu veranlassen, die Schule wieder zu besuchen. Wenn all diese Versuche scheitern droht jedoch der (teilweise) Sorgerechtsentzug.
Über zwei solcher Fälle berichte ich in der Folge:
In einer vom OLG Köln zu entscheidenden Sorgerechtsangelegenheit hatten die Eltern ihre vier schulpflichtigen Kinder nicht (mehr) die Schule besuchen lassen. Daraufhin schritt, nachdem sämtliche Versuche, den Eltern zu verdeutlichen, dass sie hierzu verpflichtet sind und sie ihren Kindern mit ihrer Verweigerungshaltung schaden, scheiterten, ein und beantragte im Wege der einstweitligen Anordnung die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechtes auf Regelung der gesundheitlichen und schulischen Angelegenheiten.
Das zuständige Amtsgericht gab dem Antrag statt und ordnete zudem die Ergänzungspflegschaft an.
Gegen diesen Beschluß legten die Eltern Beschwerde beim OLG Köln ein.
Das OLG Köln sah in der längerfristigen Verletzung der Schulpflicht eine Gefährdung des Wohles der Kinder. Die Verweigerung des Schulbesuchs bewirke eine Verkürzung der Lebenschancen der Kinder.
Daher habe das Amtsgericht auch mit dem Entzug von Teilbereichen der elterlichen Sorge die nach § 1666 Abs.1 BGB erforderlichen Maßnahmen getroffen, um die Gefährdung des Wohles der Kinder abzuwenden.
Ein Verstoß gegen die Schulpflicht rechtfertige sogar über Eingriffe in Teilbereiche der elterlichen Sorge hinaus auch eine strafrechtliche Sanktionierung.
Da die Eltern die Kinder inzwischen – auch unter dem Druck des Verfahrens und der Sorgerechtsentziehung – bereits wieder die Schule besuchen ließen, konnte das OLG im Einverständnis mit dem zuständigen Jugendamt die Entziehung der elterlichen Sorge in Teilbereichen wieder aufheben.
Sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar hat das OLG aus meiner Sicht die mit der Verletzung der Schulpflicht einhergehende Beeinträchtigung der Zukunftschancen der Kinder herausgestellt und darin – meiner Meinung nach zutreffend – eine Gefährdung des geistigen und seelischen Wohles der Kinder gesehen.
(OLG Köln, 02.12.2014, Az:4 UF 97/13)
Auch das OLG Dresden hatte über einen Sorgerechtsentzug aufgrund der Verletzung der Schulpflicht zu entscheiden.
Die Eltern hatten ihre beiden Kinder ebenfalls nicht mehr in die Schule geschickt. Allerdings hatten sie ihnen zuhause Unterricht erteilt. Das erstinstanzlich zuständige Amtsgericht hatte auf Veranlassung des Jugendamtes den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen.
Hiergegen wandten sich die Eltern mit ihrer Beschwerde an das OLG.
In diesem Fall war die entscheidende Frage, ob unter den gegebenen Umständen die Gefährdung des Kindeswohlesa durch den Nichtbesuch der Schule durch einen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts abgewendet werden kann, oder ob damit nicht eine derartige seelische Beeinträchtigung der Kinder ausgelöst wird, die eine ebensolche Gefährdung wieder hervorruft.
Ein seitens des Gerichts beauftragter Sachverständiger hatte in seinem Gutachten festgestellt, dass die Kinder eine sehr enge und liebevolle Bindung an ihre Eltern haben und diese die Kinder bis auf die Verweigerung des Schulbesuchs sehr gut und an den Bedürfnissen der Kinder orientiert erziehen. Gleichzeitig wurde in dem Gutachten aber auch deutlich, dass das geistige Potential der Kinder und ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht ausgeschöpft werden und ihnen berufliche Zukunftschancen durch den verweigerten Schulbesuch verbaut werden.
Auch unter dem Druck des Verfahrens waren hier die Eltern nach wie vor nicht bereit, ihre Kinder in die Schule gehen zu lassen.
Daher war eine Beschulung der Kinder nur im Wege der Herausnahme aus der Familie zu erreichen.
Das Gericht mußte daher abwägen, ob die mit der Nichtbeschulung einhergehende Kindeswohlgefährdung eine Fremdunterbringung auch unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit rechtfertige.
Verhältnismäßig ist die faktisch in diesem Fall erforderliche Fremdunterbringung nur, wenn dadurch nicht ebenfalls eine das Wohl der Kinder gefährdende Beeinträchtigung hervorgerufen wird.
Da die Herausnahme aus der Familie und die Trennung von den Eltern und zwei kleinen Geschwistern für die Kinder aufgrund ihrer engen Bindung eine erhebliche, ihr Wohl beeinträchtigende, Belastung wäre, hob das Gericht die erstinstanzliche Entscheidung auf und beließ damit die Kinder bei ihren Eltern, obwohl diese weiter jeglichen Schulbesuch ablehnten.
Diese Entscheidung verdeutlicht, dass bei Sorgerechtsentscheidungen immer das Maß der Beeinträchtigung des Kindeswohles maßgebliches Kriterium ist.
In dem vom OLG Dresden zu entscheidenden Fall, war die Nichtbeschulung für die Kinder das geringere Übel. Eine Herausnahme aus ihrer Familie hätte für sie eine zu große seelische Beeinträchtigung bedeutet.
(OLG Dresden, 08.12.2014, 23 UF 633/13)